Das Bild zeigt den Texter Stefan Thönes aus dem Saarland

Der letzte Tag

von Stefan Thönes - alle Rechte vorbehalten.

Schnief. Schneuz. Ach, es ist immer herzzerreißend.

 

Der letzte Tag am alten Arbeitsplatz.

 

Ich habe schon ein paar Arbeitgeber durch und berichte Ihnen aus erster Hand, wie das läuft:

 

Am letzten Arbeitstag in der "alten" Firma wird selbst die Kollegin, mit der man sich vier Jahre lang leidenschaftlich bekriegt hat, zur besten Kollegin überhaupt. Alle haben sie Tränen in den Augen. Und sogar ein Bussie gibt's von dieser "militant feministischen Amazone". Jedenfalls behauptet sie, dass ich sie einmal so genannt habe. Schnell fügt sie hinzu, dass sie es mir inzwischen aber verziehen hat, weil ich ja doch so ein netter Kerl bin.

 

Habe ich das echt gesagt? Hmm. Es fällt mir wieder ein. Und ob ich das gesagt habe! Hehehe. Am letzten Tag werden alle Sünden vergeben. Das läuft beim Firmenabschied noch besser als im Beichtstuhl.

 

Der Vorgesetzte, der noch vor drei Wochen der Überzeugung war, dass man einen absoluten Hirnriß hätte und wieder einmal deutlich über's Ziel hinausgeschossen sei und eigentlich sowieso besser beim Neo Magazin Royale als in dieser Firma aufgehoben wäre, findet auf einmal tröstende Worte, stilisiert einen zum Helden und wünscht für die Zukunft "nur das Beste".

 

Und klar: Wenn man sich es noch einmal anders überlegen würde mit der Kündigung, ständen natürlich alle Türen offen. Ich habe dann einmal nur so zum Scherz mit todernster

Miene nachgefragt, ob das ein ernst gemeintes Angebot sei. Es hat mir schon immer Spaß gemacht zu beobachten, wie meinem geliebten Feind, äh Chef, die Äderchen an Schläfe und Hals hervorquellen, sein Blick verwirrt nach rechts unten abgleitet und sich Schweißperlen auf seiner Stirn bilden: “Ja, also, nun... äh.”

 

Als ich ihm erkläre, dass ich ihn gerade verarscht habe, fällt ihm ein wichtiger Termin wieder ein und weg isser. Ob er schon meine "lustige" Abschiedsmail mit dem Verteiler "Intern_alle" gelesen hat? Da sind gestochen scharfe Fotos vom letzten Betriebsausflug drin und er macht auf den Bildern nicht gerade die allerbeste Figur. Er hätte auch besser die Finger von der Praktikantin lassen sollen, aber der Alkohol eben... tststs. Mir das Zeugnis schon heute morgen zu geben war wirklich etwas leichtsinnig. Ein Arbeitstag ist lang...

 

Sooo! Der Chef ist schonmal weg. Jetzt kann ich in Ruhe mit den Kollegen ein paar Flaschen Sekt killen. Das Alphatierchen ... oder besser gesagt Betatierchen ... kommt nicht wieder in dieses Büro. Zumindest bis meine letzte Schicht hier rum ist und ich weg bin. Und vielleicht geht ja noch was bei der Amazone.

 

 

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