Das Bild zeigt den Texter Stefan Thönes aus dem Saarland

Der Hypochonder

von Stefan Thönes - alle Rechte vorbehalten.

Ich bin ja bekennender Hypochonder. Das sind die Leute, deren Gesichtsfarbe sich radikal ändert, wenn man Ihnen erzählt, dass man gerade eine Magen-Darm-Grippe hinter sich

gebracht hat. Bestenfalls schütteln Sie dem Hypochonder dabei die Hand. Dieser wird dann unter irgendeinem Vorwand recht hektisch zum nächsten Bad stürzen, um sich einer

Grunddesinfektion zu unterziehen. Selbstverständlich bildet er sich trotzdem eine halbe Stunde später ein, dass der Magen doch etwa komisch grummelt...

 

Okay, das Bild ist ein ganz klein wenig überzogen. Aber kennen Sie die Situation beim Bäcker, wenn sich die Bedienung herzhaft ihre rot-fleckige Nase putzt und der Kollegin gerade erzählt, wie schlecht die letzte Nacht wegen der schlimmen Erkältung war? Dann fragt sie nach der Bestellung und sie wünschen sich nur, dass sie die Brötchen nicht mit der bloßen Hand anfassen wird. Da wird jeder von uns zum Hypochonder!

 

So ähnlich passiert es mir heute. Ich gehe nichtsahnend in eine Bäckerei und siehe da: Die Verkäuferin hat bestenfalls einen grippalen Infekt, eventuell auch Schlimmeres. Sie kann sich kaum auf den Beinen halten, hat sich aber tapfer zur Arbeit geschleppt. Man muss sich einmal überlegen, welchen volkswirtschaftlichen Schaden die Dame damit anrichtet! Wenn sich von den geschätzten 100 Kunden an diesem Tag auch nur die Hälfte ansteckt und jeweils zwei Tage krank ist, dann ist das ein volkswirtschaftlicher Schaden von... okay, ich lasse das jetzt, denke den Gedanken nicht zu Ende.

 

Jedenfalls hoffe ich noch, dass mich die gesunde Verkäuferin bedienen wird, wobei diese ja auch potentielle Überträgerin des Virus oder Bakteriums sein kann und nur noch nichts davon weiß. Natürlich habe ich Pech. Die Seuche auf zwei Beinen fragt mich, was ich gerne hätte und wischt sich die laufende Nase mit dem Handrücken ab. Bäh! Widerlich. Ich muss inzwischen ganz gelb im Gesicht sein, doch die Grippemedikamente haben die Sinne der Bäckereifachverkäuferin anscheinend abgestumpft. Sie merkt nicht einmal, wie eklig das ist.

 

Ich stottere etwas von einem Croissant und zwei belegten Brötchen. Was ich denn gerne darauf hätte? Fleischwurst. Oh nein. Sie schneidet das Brötchen auf und belegt es mit bloßen Händen, ohne diese vorher zu waschen. Uaaahaaa! Eben hat sie mit diesen Wurstfingerchen abkassiert. Das alleine geht hygienetechnisch schon bei vollkommener Gesundheit gar nicht!!!

 

Als Sie mir freudestrahlend mein Gebäck überreicht, niest der Seuchenherd noch einmal herzhaft über die gesamte Auslage, quasi in die Theke rein. Mir wird schlecht.

 

Ohne zu überlegen zahle ich und verlasse fluchtartig die Bäckerei.

 

Die Brötchen schmeiße ich in den nächsten Mülleimer, das Croissant wird bei 200° Celsius im Umluftherd kurzsterilisiert. Der Appetit ist mir trotzdem vergangen. Ich wähle die Nummer vom zuständigen Gesundheitsamt und verlange nach dem diensthabenden Seuchenbeauftragten. Pflichtgemäß informiere ich ihn über eine anstehende Grippeepidemie, ihrem Epizentrum sowie dem vermeintlichen “Patient 0” in der Bäckerei und gebe für eine potentiellen Zwangs-Karantäne die beiden Autonummern der Kunden durch, die mit mir drin waren.

 

Dass 15 Minuten später der psychologische Dienst einer Nervenklinik angerufen und mir seine Hilfe angeboten hat, ist ja wohl eine Frechheit! Alles Lemminge! Grippeopfer!

 

Wo ist denn jetzt eigentlich das Tamiflu-Zeugs? Wenn ich jetzt mit der Einnahme beginne, schaffe ich es vielleicht noch, mit einem blauen Auge davon zu kommen.

 

 

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